Gemeinde

Ein Buch mit sieben geöffneten Siegeln

Die Offenbarung an Johannes ist ein Buch mit „sieben geöffneten Siegeln“. Das bedeutet, man kann sie verstehen. Es gibt sehr viele Ausarbeitungen zu diesem Thema mit wissenschaftlich anmutenden Detailbeschreibungen. Es gibt Spekulationen jeder Art und in jede Richtung.

Doch viele dieser Bücher erscheinen dem Leser schnell wieder als solche, die mit „sieben Siegeln verschlossen wurden“. Sie sind schwer zu verstehen.

Mein Anliegen ist es, in verschiedenen Aufsätzen den Stoff so einfach wie möglich darzustellen. Jeder gläubige Christ soll die Möglichkeit haben, sich mit dem Thema befassen zu können, auch wenn er noch „jung im Glauben“ ist, ohne einen „hohen Erkenntnisstand“ nachweisen zu müssen. Auch soll dem Leser die Möglichkeit belassen bleiben, selbst weiterzuforschen und über den Stoff nachzusinnen. Es ist nicht nützlich bis ins Detail alles erklären zu wollen was mit Prophetie zu tun hat. Solche Bücher werden zwar auch gelesen, aber man wird bestenfalls sagen: „Aha, so ist das“, und wird das Thema zur Seite legen, denn es bleibt keine Möglichkeit mehr, autodidaktische Forschungen anzustellen.

Vieles erklären zu können hängt von der Gnade Gottes ab. Alles erklären zu wollen ist Hochmut. Wir müssen den Faktor „Zeit“ berücksichtigen. So wird zu Daniel gesagt: „Je näher das Ende kommt, desto mehr werden die Verständigen darüber Verstand gewinnen.“  Ich befasse mich seit mehr als 35 Jahren mit der biblischen Prophetie, und nehme für mich in Anspruch, Zusammenhänge verstehen zu können; dennoch will ich ausdrücklich betonen, dass ich nicht von mir behaupten kann, die absolute Erkenntnis zu besitzen. Die vorliegenden Aufsätze haben zum Ziel, die Gläubigen dahingehend herauszufordern, die Aussagen der Heiligen Schrift ernst zu nehmen und das Vertrauen zu dem Herrn Jesus Christus zu bewahren. Umweltereignisse mögen auch einen Christen erschüttern, dürfen ihn aber nicht irritieren. Gott führt seinen Heilsplan durch, und er bringt jeden ans Ziel, der sich ihm anvertraut.

 

Nachdem die Offenbarung in den Kanon der autorisierten Bücher der Bibel aufgenommen worden war, war man sich lange nicht schlüssig, ob dies richtig gewesen sei. Selbst Martin Luther konnte wenig mit diesem Buch anfangen, und so erging es vielen Bibellehrern vergangener Jahrhunderte.

Sicherlich, einzelne Passagen wurden verstanden, aber die Gesamtheit des Buches nicht. Sind es doch auch wunderliche Bilder, die in dieser Schau gezeigt werden. Wer konnte schon in zurückliegenden Zeiten Relationen zur Wirklichkeit herstellen? Spätestens das 20. Jahrhundert, und von dem noch mehr die letzten Jahrzehnte, oder auch nur die vergangenen, wenigen Jahre nach der Jahrtausendwende, erlauben uns ein weitergehendes Verständnis, obwohl auch unserer Generation noch vieles verborgen zu sein scheint oder auch tatsächlich noch verborgen ist.

Dem Propheten Daniel erging es vor 2500 Jahren nicht anders. Auch er konnte die großen Offenbarungen, die er hatte, nicht oder nur kaum verstehen. So wird ihm denn auch von einem Engel gesagt: „Gehe hin, Daniel, denn es ist verborgen und versiegelt bis auf die letzte Zeit“ (Dan. 12,9).  „Und du, Daniel, verbirg diese Worte und versiegle diese Schrift bis auf die letzte Zeit; so werden viele darüber kommen und großen Verstand finden“ (Dan. 12,4). „… die Gottlosen alle werden es nicht achten, aber die Verständigen werden es achten …“ (Dan. 12,19).  

Man sagt oft als Entschuldigung für das Nicht-Verstehen-Können: „Die Offenbarung ist ein Buch mit sieben Siegeln.“ – Es sind aber die aufgebrochenen Siegel! Jesus, das Lamm Gottes, hat die Siegel aufgebrochen und das Buch geöffnet (Offenbarung 5). Der Schlüssel zum Verständnis für uns ist das Achten auf das, „was der Geist Gottes den Gemeinden sagt“; und im Herankommen der Dinge finden wir zunehmendes Verstehen.

Johannes beginnt seinen prophetischen Bericht an die sieben Gemeinden Kleinasiens mit dem Satz, der seine eigene Meinung wiedergibt: „Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in Kürze geschehen soll.“     

Fast zweitausend Jahre sind vergangen, seit Johannes dieses Buch geschrieben hat. Vieles ist in Erfüllung gegangen; das meiste noch nicht. Da wir aber auf die Zeichen achten, die uns für diese Zeit verheißen sind, wissen wir: es wird sich in Kürze alles erfüllen!

Johannes schreibt im dritten Vers weiter: „Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.“

In einem seiner Briefe schreibt Johannes an die Gemeinden: „Brüder, es ist die letzte Stunde …“ Nach Generationen bedeutet das für uns, dass wir nur noch „Minuten“ vor uns haben – weltgeschichtliche Minuten, also wenige Jahre. Wir brauchen uns heute keinen Spekulationen mehr hinzugeben, wenn es um die Auslegung der Offenbarung geht. Wir müssen nur die geschichtlichen Fakten der jüngeren Zeit und die apokalyptischen Aussichten, die uns Politik und Wissenschaft bieten, mit den Aussagen der Offenbarung „synchronisieren“, und wir werden vieles begreifen lernen.

Vielleicht muss man erst in die Verbannung gehen, wie Johannes, und auf einer einsamen Insel „zur Ruhe kommen“ – bei ihm war es die Insel Patmos im Ägäischen Meer – damit man gewürdigt wird, eine große Offenbarung Gottes zu erleben. Unser Alltag ist heute viel zu hektisch, als dass wir vermuten könnten, Gott würde sich auch uns in ähnlicher Weise offenbaren. Sicherlich kann er es trotzdem. Aber gewiss ist etwas an dem Gedanken, dass auch wir einmal zur Ruhe kommen sollten, und sei es nur, um die Offenbarung lesen zu können.

 

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Einsame Insel Patmos; wenige Menschen auf ihr und viel Zeit zum Gebet und Nachdenken. Wohl täglich geht der Apostel Johannes, der so plötzlich aus seinem Wirkungsbereich herausgerissen wurde, an den Strand des Meeres, um in lautem Gebet vor seinem Herrn zu liegen. Niemand kann ihn dort belauschen, wenn vielleicht auch  sehen.  Das Rauschen der Brandung verschlingt das Rufen, das Schreien, das Weinen, das Bitten und Flehen, aber auch die Anbetung und den Lobpreis. Nur einer hört immer zu – Jesus! Er hört den Jünger, „den er liebhatte“, wie wir es im Evangelium lesen können. Das Wellenrauchen und das Brausen des Windes können niemals verhindern, dass die Worte des Gebets, in menschlicher Sprache oder in „neuen Zungen“, an Jesu Ohren gelangen. Ganz bestimmt sind die sieben Gemeinden Kleinasiens ein Hauptgegenstand seiner Gebete. Ihr geistliches Wohlergehen ist ihm wichtig. „Herr, bin ich auch nicht mehr bei ihnen, sie zu lehren, zu ermahnen, zu lieben; du aber bist allezeit bei ihnen!“ Vielleicht betete er oft solche und ähnliche Worte.

Trotz Verbannung und äußerer Einsamkeit – vielleicht gerade deshalb – hält Johannes an der alles überragenden Verheißung fest, wenn er schreibt: „Siehe, er kommt mit den Wolken und es werden ihn sehen alle Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Geschlechter der Erde. Ja, Amen!“ (Offb. 1,7).

Und Gott, der Herr, lässt durch seinen Mund weissagen: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott, der HErr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige!“  (Kap. 1,8).

Vielleicht befand sich Johannes am Ufer des Meeres, als er sein Erlebnis mit dem auferstandenen Christus hatte. Er berichtet, dass der Geist Gottes über ihn gekommen sei am „Tage des HErrn“ (das ist der erste Wochentag, ein Sonntag). Er berichtet ferner: „Und ich hörte hinter mir eine große Stimme, wie von einer Posaune!“ (Kap. 1,10).

Meeresrauschen und Brausen des Windes können menschliche Stimmen verschlingen, als hätten sie nie gesprochen; Gottes Reden jedoch ist kräftiger als Wind und Meer. Er verschafft sich Gehör, wenn er gehört werden will. Bei Elia war es ein „sanftes Säuseln“, bei Johannes ist es „wie der Ton einer Posaune“ – unüberhörbar, gewaltig, mitreißend, alles ausfüllend: „Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es zu den sieben Gemeinden …!“

Johannes wendet sich um, er will sehen, wer so gewaltig zu ihm redet. Da sieht er und berichtet: „Und als ich mich wandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war eines Menschen Sohn gleich. Er war angetan mit einem langen Gewand, und begürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar war weiß, wie weiße Wolle, wie der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme, und seine Füße gleich wie goldenes Erz, das im Ofen glüht, und seine Stimme wie großes Wasserrauschen; und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand, und aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Angesicht leuchtete, wie die Sonne scheint in ihrer Macht“, (Offb. 1,12-15).

Johannes kannte den Gekreuzigten, er kannte auch den Auferstandenen; was er jetzt sieht, ist so alles überragend, so beherrschend, so gewaltig, dass er gestehen muss: „Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie ein Toter; und er legte seine Hand auf mich und sprach zu mir ...“ (Kap. 1,17).

Man kann bestimmt nicht nachempfinden, was Johannes in diesen Augenblicken erlebte. Es gibt Begebenheiten, die man keinem anderen Menschen treffend wiedergeben kann.

Plötzlich wird Johannes aus seiner Einsamkeit herausgerissen und unmittelbar in die Gegenwart seines Herrn versetzt. Völlig überwältigt, fast unter einer Schockwirkung, bricht Johannes zusammen: kraftlos, leblos, wie ein Toter. Vielleicht nur Momente, bis er die Hand seines Herrn auf der Schulter verspürt, und dann folgt das Wort - unverkennbar, es ist die Anrede seines Herrn, die Anrede des Auferstandenen - so kann nur Gott sprechen: „Fürchte dich nicht!“

Wer von Gott so angesprochen wird, der bekommt neue Kraft! Und Christus spricht weiter zu ihm: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel der Hölle und des Todes!“  Jetzt offenbart sich Christus dem Johannes und jetzt offenbart Christus ihm auch all das, „was in Kürze geschehen soll!“  

Der Apostel erhält die Anweisung, den sieben Gemeinden drei Dinge zu schreiben: erstens „was du gesehen hast“, zweitens „und was ist“, drittens „und was geschehen soll danach“ (Kap. 1,19).

Anschließend wird ihm das Bild von den sieben Leuchtern erklärt: „Die sieben Sterne sind die Engel (Boten, Gemeindeleiter) der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter, das sind die sieben Gemeinden“ (Kap. 1,20). An sie soll er den Brief richten. In Vers 11 lesen wir: „… und sende es zu den sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamos, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodicea.“

Gemäß Vers 19 haben wir die große Gliederung des Buches der Offenbarung:

Einleitung: Jesus offenbart sich seinem Jünger auf Patmos. Anrede an die sieben Gemeinden, wo sich in Lob und Tadel das Gesamtbild der Gemeinde Jesu widerspiegelt, mit allen ihren Erscheinungsformen durch die nachfolgenden Jahrhunderte (von Johannes aus gesehen) bis zu den weiteren Geschehnissen.

Hauptteil: Die nachfolgenden Geschehnisse, die erst ganz am Ende des Zeitalters eintreten, werden geschildert.

Nachwort: Schließlich beendet Johannes das Buch der Offenbarung so, dass es inhaltlich den ersten Versen wieder entspricht: Christus kommt wieder. „Amen, ja komm, Herr Jesus!“ (Offb. 22,20).

„Das, was da ist“, sind die sieben Gemeinden; es ist der „Leuchter“, in dessen Mitte Jesus, der HErr wandelt. Wenn Johannes auch den Auftrag hatte, sein Buch an diese zuvor erwähnten sieben Gemeinden zu senden, die alle in Kleinasien (der heutigen Türkei) zu finden waren, so ist doch die Offenbarung ein Buch „an den Leuchter“, das will heißen: an die Gemeinde Jesu in ihrer Gesamtheit und durch alle Jahrhunderte hindurch. Wir wissen, dass die Zahl sieben auch die Fülle oder Gesamtheit ausdrückt. Das Buch hätte genauso gut an die Gemeinden in Rom, Jerusalem, Antiochien oder Athen geschrieben werden können. Jesus wählte jedoch diese sieben Gemeinden aus, und wahrscheinlich sind in ihnen alle jene Elemente zu finden gewesen, die stellvertretend für alle örtlichen Gemeinden gelten, wie auch die Rede an diese erkennen lässt.

Daneben gibt es auch die Auslegung, dass in der Reihenfolge der angesprochenen Gemeinden eine Reihenfolge des Zustandes der Gesamtgemeinde Jesu in der darauffolgenden Kirchengeschichte zu erblicken sei. Allerdings müsste dann konsequenterweise zum Beispiel Philadelphia die Zeit der Entrückung kennzeichnen und die zuletzt genannte Gemeinde Laodicea, die Zurückgebliebenen, welche die ganze Bitterkeit der Verfolgung unter dem Antichristen zu schmecken hätten. Dies mag dahingestellt sein.

Eines soll noch gesagt werden: Die eigentliche Endzeit unseres Zeitalters beginnt ab Kapitel 6 der Offenbarung mit dem Öffnen des ersten Siegels. Das heißt, dass im Hauptteil der Offenbarung, über viele Kapitel hinweg, die Geschehnisse beschrieben werden, die noch vor uns liegen und alles bis dahin Gewesene in den Schatten stellen. Es handelt sich aber dabei nur um wenige Jahre. Was ab Kapitel 20 beschrieben wird, betrifft ein ganz neues Zeitalter, das „Tausendjährige Reich“. Die vielen Jahrhunderte aber, die zwischen der Offenbarung an Johannes und unserer Zeit liegen, spiegeln sich lediglich in den Sendschreiben an die sieben Gemeinden. (In den Evangelien und bei den Propheten finden wir einige, aber nur spärliche Aussagen).

Was auch immer in der Geschichte der vergangenen Jahrhunderte geschehen ist; für Gott war die Gemeinde Jesu der Mittelpunkt und alles geschah, um Gottes Reich zu bauen. Wenn auch alles „menschlich üblich“ zu verlaufen scheint, Gott lässt viele Dinge zu und Er lenkt sie auf dem vorgezeichneten Pfad bis zum „großen Finale“ hin, bis zur unausweichlichen Konsequenz, bis zum summa summarum aller Geschehnisse unseres Zeitalters, die vor nahezu 2000 Jahren auf Patmos offenbart wurden. Und „in Kürze“ wird das alles vollendet sein.